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WARUM SOLLEN NUR AUTOBAUER:INNEN KI NUTZEN?

KI IN DER KINDER- UND JUGENDHILFE

Digitalisierung – bisher nutzen vor allem technologiegetriebene Großunternehmen die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz. Doch auch soziale Einrichtungen wie Jugendhilfe, Kita und Schulsozialarbeit können sie für sich nutzen. Dafür brauchen sie ein klares Ziel, Offenheit und Lernbereitschaft.

Vor 10 Jahren hatten Sven Schulze und seine Teams ein Problem. Der Magdeburger ist der Geschäftsführer einer dezentralen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung im ländlichen Sachsen-Anhalt. Die Einrichtung bietet stationäre, teilstationäre und ambulante Dienste an. Die Kinder, Jugendlichen und Adressaten, die bei Schulze leben, haben dabei unterschiedlichste Anforderungen und Biografien. Die Jugendämter rufen also bei Schulze an und wollen in kürzester Zeit ein fundiertes Betreuungssetting zu geringen Kosten. In den meisten Fällen ist die Datenlage für die potenziellen Hilfefälle dünn bzw. die Daten sind eigentlich immer unstrukturiert.

Die erste Aufgabe ist es also Ordnung und Systematik in die Daten zu bringen und den Anforderung, Methoden, Vorgehensweisen zuzuordnen. Schulze und sein Team müssen also wissen, welches Geschlecht, welche Verhaltensintensität, welcher Lebenslauf am besten mit welcher Methode und welchem Setting zu bearbeiten ist. Dieses umfassende Know-how ist die Schlüsselkompetenz, die über den Erfolg einer Hilfe und das Leben eines Kindes entscheidet – und gleichzeitig das größte Problem. Die ständigen Veränderungen – wie Personalwechsel in der Einrichtung, beim Amt und in den Familien, erhöhte Qualitätsanforderungen von allen Seiten – im Blick zu behalten, sei für das menschliche Gehirn kaum machbar, meint Schulze.

„Ich träume von einer Software, die uns dabei unterstützen kann, vollautomatisiert ein optimales Erziehungssetting basierend auf den ganzen Erfahrungen zu entwickeln. Dabei sollen genaue kontextbezogene Handlungsempfehlungen den Kollegen in den Gruppe verständlich ausgegeben werden – ein Assistent. Meine Vision ist, dass das künstliche Intelligenz möglich macht.“

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KI-Projekt gemeinsam angehen

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KI in der Kinder- und Jugendhilfe

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Künstliche Intelligenz, kurz KI, dieses Schlagwort hören derzeit immer wieder. Praktisch im Einsatz ist sie im pädagogischen Alltag allerdings selten. Angetrieben von seiner Idee hat Schulze 2019 die Kontakte zur Otto- von-Guericke-Universität Magdeburg gesucht und seine Idee und Einsatzmöglichkeiten Prof. Andreas Nürnberger, dem ausgewiesenen Experten für KI und Text Mining, vorgetragen. Nürnberger erkannte das Potential und zusammen wurde mit weiteren Partner:innen und der METOP, einem An-Institut, einen Fördermittelantrag beim Bundesforschungsministerium gestellt, welcher mit 1,6 Millionen Euro genehmigt wurde.

Die KI, ein Set von Programmiermethoden soll in den Texten Akten lesen, strukturelle und formatspezifische Annotationen (Stichworte) erkennen, mit bisherigen Fallverläufen vergleichen und so Prognosen auf den konkreten Fall geben. Der eine oder andere kennt den Versuch, bei welchem einem Computer Katzenbilder gezeigt werden. Nach einer gewissen Zeit erkennt das System von allein die typischen Muster in den Bildern und kann selbst Katzen von Hunden unterscheiden. Im Grunde funktionieren die meisten KI-Systeme ähnlich. Künstliche Intelligenz ist also kein Hexenwerk, sondern gute Statistik. Die Vermarktung stellen sich Schulze und seine Partner:innen so vor, dass sich Interessent:innen die Software als Add-on aus dem Internet herunterladen, ihre Texte einlesen oder einscannen und dann in Echtzeit eine Analyse und Prognose erhalten. Der Vorteil, es bedarf keiner zusätzlichen Software und Infrastruktur, die KI bettet sich in das jeweils vorhandene Ökosystem der Einrichtung oder des Jugendamtes ein.

Der Gedanke, dass KI dazu beitragen kann, den Alltag des Gruppenerziehers wesentlich zu erleichtern, kam Schulze 2016, als ihm eine Amazon Alexa geschenkt wurde. Schulze hatte bereits 2009 damit angefangen, seine vollständigen Erziehungsprozesse über eine eigene Plattform abzubilden und versucht, alles maximal zu automatisieren. Hintergrund der Eigenentwicklung war, dass etablierte Anwendungen nicht auf Smartphones verfügbar waren und die Anwendungen in der Regel sehr eindimensional ausgerichtet waren. Das heißt, sie waren gut für die Verwaltung und schlecht für die Erzieher:innen, die bei den Kindern sein sollten. Das pädagogische Tagebuch war geboren. Aktuell ist es so, dass aus den 250.000 Datensätzen halbautomatisiert die Entwicklungsberichte per Interview generiert werden, ein Verhaltensmonitoring mit integrierten Fallberatungen und Anzeigen, wann ein Kind die Grenzen des möglichen Erziehungssettings erreicht hat. Schulze und sein Team konnten so erreichen, dass sich die durchschnittlichen Krankheitstage der Erzieher:innen von 17 auf 6 reduziert haben.

Der nächste Schritt ist nun, die vollständige Erfassung der Tagesdokumentation mit Hilfe strukturierter Dialoge und eines Chatbot-Systems vorzunehmen. Im Gegenzug informiert das Chatbot-System die Kolleg:innen immer in der gleichen Qualität zu Dienstübergaben, welche Aufgaben anstehen, empfiehlt welche pädagogischen Angebote kontextbezogen umzusetzen sind, um der aktuellen Verhaltenskurve des Kindes optimal zu entsprechen.

BEISPIEL

„Liebe Frau Meier, schön dass wir heute zusammen den Dienst machen. Folgende Kinder sind heute in der Gruppe. Ich empfehle Ihnen heute mit Kevin, Matthias und Pascal auf den Bolzplatz zu gehen, da der Verhaltenindex der letzten drei Tage kritisch war und sich Bewegung auf die drei positiv auswirkt. Des Weiteren bitte ich Sie heute bis 14.00 Uhr einen Zahnarzttermin für Chantal zu vereinbaren. Soll ich Sie gleich verbinden?“

KI Erziehung

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„Unser Ziel war es natürlich sicherzustellen, dass die wirksamsten Methoden, Erfahrungen des Erziehungsalltags einfach vervielfältigt werden können, und zwar aufgrund der Qualität des Systems und nicht aufgrund der Qualität eines Mitarbeiters. So macht Technologie eine wirkliche Teamarbeit erst möglich.“

Künstliche Intelligenz

Die ersten Prototypen liegen in den Schubladen oder sind bei aktuell 85 Mitarbeiter:innen im Test: EinarbeitungsApp, Chatbotbasiertes Berichtswesen, Chatbotbasierte Dienstplanbörse, KI-gestützte Risikobewertung, Methodendatenbank mit KI-gestützten Empfehlungen, Automatisiertes Handbuch, welches zeitzyklisch und eventbasiert die Erziehungsprozesse steuert. Sven Schulze ist ein Praktiker, der nicht zögert und sich gern in neue Aufgaben vertieft. Seine technische Ausbildung, sein Betriebswirtschaftsstudium und seine Ausbildung zum Erzieher sind sicherlich Voraussetzungen dafür, interdisziplinär zu denken und Probleme vorurteilsfrei zu lösen. „Es fasziniert mich die Idee, eine denkende Maschine zu entwickeln, um den Erziehern und letztendlich den Kindern Lebensfreude und Sinnhaftigkeit zu geben“. Schulze opfert für diese Idee Wochenenden und jede freie Minute. Sein Ziel ist es, mit seinen Partner:innen an der OvGU und dem An-Institut METOP eine intelligente Software zu entwickeln, die seinen Betreuungsteams hilft, passgenau und in Echtzeit Betreuungs- und Erziehungssetting an die Hand zu geben, die nicht auf Basis von Einzelerfahrungen sondern von Daten fundiert.

Das Ambitionierte an dem Projekt ist, dass es bisher keine Standardverfahren gibt. Schulze, sein Team und seine Partner:innen betreiben also seit 1,5 Jahren Forschung und Entwicklung, um den KiJu Assistenten zu entwickeln. Bisher brauchte es für die Arbeit an KI-Projekten viel Pioniergeist. Schulze glaubt aber, dass sich der Aufwand dafür lohnt, auch wenn man nicht sofort alles in Euro und Cent rechnen kann. Die Einrichtungen bauen Know-how auf, sensibilisieren sich für ihre Kernprozesse und werden in der Regel bei Bewerber:innen und Mitarbeiter:innen als innovativ wahrgenommen. Dass Sven Schulze mit seinen Eigenentwicklungen Risiken eingeht, ist ihm bewusst.

„Vielleicht kriegen wir die Software nicht so am Markt platziert, dass sich unsere Entwicklungskosten refinanzieren oder die Ämter haben zu viele Vorbehalte ihre Daten zu teilen. Anderseits eröffnet die Software neue Chancen – etwa ein neues Geschäftsmodell.“

KI-Projektentwicklung

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Sein Plan ist es, eine Online-Akademie zu entwickeln, die sich auf den Bereich der Heimerziehung fokussiert. Die KI-Software soll es möglich machen, die Ausbildung und Qualifizierung interaktiv, asynchron und individualisiert zu machen – statistisches Monitoring der besten Lernzeiten und Themen. Schulze will so Quereinsteiger:innen die Qualifizierung zu Fachkräften trotz Schichtbetriebes ermöglichen. Der Bedarf ist riesig und die bisherigen Ausbildungsformen geben häufig keine Antworten auf herausfordernde Verhaltensweise – es ist eben alles noch sehr Kita-lastig ausgerichtet. Aber der Bereich Kita könnte hier genauso profitieren, da dieser vor ähnlichen Herausforderungen steht. Für Schulze sei die Arbeit mit KI und die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung eine Existenzfrage. „Das größte Risiko für uns als kleine Einrichtung ist, dass das irgendwann andere machen – und zwar ohne uns.“

NEUGIERIG AUF MEHR?

Am 3. November 2021 spricht Sven Schulze ausführlich in unserer Veranstaltung “Künstliche Intelligenz & neue DenKMUster” über das KI-Projekt, die Entwicklungen und seine Erfahrungen aus der Praxis.

„Künstliche Intelligenz für die Verbesserung in der Jugendarbeit – Ein Erfahrungsbericht“

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Juliane Höbel-Müller

Juliane Höbel-Müller

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